Phase 2: Kennenlernen
Die vielleicht spannendste Phase in einer Freundschaft ist die Zeit nach der ersten Begegnung. Kennenlernen. Man lernt zu kennen. Was sehr banal klingt, ist gar nicht so einfach, denn kennen zu lernen setzt voraus, dass der Blick offen und unvoreingenommen ist. Ein Zustand, der bewusst geschaffen werden muss. Ich als Stadtpflanze habe natürlich so meine Vorstellungen vom Leben in der Kleinstadt. Neben der romantisierten Vorstellung vom Leben im Einklang mit der Natur, erwarte ich natürlich auch Langeweile — produktive —, ein gleichförmiges Dahinfließen der Tage — Stressabbau! — und statt Anonymität Gemeinschaft.
All diese Vorurteile beiseite gelassen, lerne ich Steffisburg ganz anders kennen. Dank nicht enden wollenden Regens ist das mit dem Einklang und der Natur so eine Sache. Steffisburg zeigt mir in dieser Hinsicht die kalte Schulter. Langeweile will sich auch nicht einstellen. Es gibt viel zu beobachten und ich stelle fest, dass Beobachtung ein wesentlicher Faktor ist, wenn es um das Kennenlernen geht. Es folgt eine Auswahl.
Beobachtung Nummer eins: Auf meinem täglichen Gang entlang der Zulg begegnet mir fast immer die Kombination Mensch-Hund. Ich habe das Gefühl, noch nie an einem Ort mit so vielen Hundehalter*innen gewesen zu sein. Vielleicht ist meine Aufmerksamkeit in dieser Sache auch nur meiner Angst vor diesen Tieren geschuldet.
Beobachtung Nummer zwei: Unglaublich viele Menschen treiben Sport. Joggen, Radfahren, Walking, Beachvolleyball, Fußball, Reiten. In fast jedem Vorgarten ein Trampolin für die Kinder. Sobald die Temperatur knapp über 20 Grad Celsius steigt und sich dann doch die ersten Sonnenstrahlen zeigen, wird sogar geschwommen. Ich bin beeindruckt von der dabei ausgestrahlten Fitness. Es sind keine Gelegenheitssportler*innen. Sport scheint hier ein fester Bestandteil des Alltags zu sein.
Beobachtung Nummer drei: Obwohl mich niemand kennt, werde ich gegrüßt. Immer. Selbst auf der Hauptstraße. Das mir bekannte Gefühl von Anonymität stellt sich nicht ein. Von Gemeinschaft kann ich jedoch auch noch nicht sprechen. Trotzdem breitet sich in mir ein Wohlgefühl aus. Steffisburg gibt sich alle Mühe, die regenbedingte Ungemach wieder wett zu machen. Um mich herum kennen sich die Menschen. Es bleibt oft nicht beim Grüßen. Im Supermarkt, in der Dorfchäsi, auf den Wegen oder vor der Post. Immer wieder bleiben Menschen nach dem Gruß stehen und halten einen Schwatz.
Beobachten zu können bedeutet, von aussen zu schauen. Unbeteiligt zu sein. Doch zu Freundschaft gehört auch Nähe. Ein Gefühl der Nähe und Vertrautheit hat sich noch nicht eingestellt. Im Moment gebe ich mich allerdings gern mit der Rolle der Beobachterin zufrieden. Zu spannend ist es, Schritt für Schritt in das Leben hier einzutauchen und es kennenzulernen.