Victorine Müller

31.03.2019 - 18.05.2019

Ob in der Performance, einem Gargoyle im Warteraum oder der winterlichen Berglandschaft im Video: Victorine Müllers Arbeiten entwerfen ein Bestiarium von pflanzlichen, tierischen und menschlichen Hybrid-Wesen, in Wandlung begriffen und in mysteriöses Licht getaucht. In ihrer Leichtigkeit und Durchlässigkeit nähren sie die Ahnung, dass es phantasievollere Universen gibt als unsere funktional und rational geordnete Welt. In der vierten Ausstellung des «Bestiarium Helveticum» zeigt Victorine Müller eine neu entwickelte Performance: Ein bewegtes Luftwesen trägt sie auf dem Dach durch die Nacht.

Zur blauen Stunde / Victorine Müller in Steffisburg

Kernstück von Victorine Müllers Ausstellung in Steffisburg ist eine neue Performance, die sie eigens für diesen Ort geschaffen hat. Als «Bühne» dient ihr das Dach des Bushäuschens, in dem zurzeit das Kunsthaus untergebracht ist. Aus transparenter PVC Folie hat die Künstlerin ein stolzes Luftwesen geschaffen, das sich vorübergehend an diesem exklusiven Ort niederlässt. Während der Performance schlüpft die Künstlerin in die transparente Körperhülle und scheint mit dieser zu verschmelzen. Zugleich haucht ihre Präsenz dem Objekt Leben ein. Fast unmerklich scheint sich dieses nämlich zu bewegen, als ob es atme und sich verlebendige.

Die Performances von Victorine Müller finden beim Eindunkeln statt. Es ist jener Zeitpunkt, wenn der Tag zur Nacht wird und das Licht in der Dämmerung eigentümlich intensiv ist. Die mit farbigen Scheinwerfern in Szene gesetzten Figuren wirken vor dem nachtschwarzen Blau besonders kontrastreich und schillernd. Der malerische Effekt wird durch das farbige Licht (in Zusammenarbeit mit Simon Egli), das sich auf der transparenten Plastikoberfläche bricht noch gesteigert, und lässt die Figuren wie strahlende Kristallkörper wirken. Victorine Müllers Inszenierungen erzeugen eine Atmosphäre voller Zauber und Magie. Sie nähren die Ahnung, dass es andere, fantasievollere Universen gibt, die genauso wirklich sind wie unsere funktional und rational geordnete Welt.

Diese Ahnung wird beim Betreten des Ausstellungsraumes noch verstärkt, denn im Warteraum des Bushäuschens schwebt das Luftobjekt Gargoyle d’air. Es ist ein zartes Tierwesen mit maskenhaftem Kopf, bein- und schwanzartige Rundungen und Ausstülpungen, die wild in alle Richtungen ausschweifen. Ein Nachtmahr? Jedenfalls erzählt die Mythologie, dass das Wesen tagsüber zu Stein erstarrt…

Mysteriös wirkt auch das Geschehen im Videotriptychon Snow, wo im frisch verschneiten Wald elfenartige Wesen die unberührte Natur beseelen. Wie aus dem Nichts tauchen sie für einen kurzen Moment im winterlichen Hain auf, um sich sogleich wieder in Luft aufzulösen. Die Videoarbeit ist in Göschenen entstanden, einem kleinen Bergdorf, wohin die Künstlerin sich im letzten Frühling zurückgezogen hatte, um in der rauen Gegend am Fusse des Gotthardmassivs, die von der unberührten Natur evozierten Stimmungen zu erforschen. Victorine Müller durchstreifte die Wälder und traf auf Orte, die eine geheimnisvolle Atmosphäre ausstrahlten. Dort entstanden nicht nur die Videos, sondern die Anmut dieser naturbelassenen Plätze inspirierten sie auch zu einer Serie von Aquarellen und Kohle/Pastellzeichnungen. Die ausdrucksstarken Gestalten, die die Blätter bevölkern, sind aus pflanzlichen, tierischen und menschlichen Elementen komponiert. Es sind hybride Wesen, denen etwas Flüchtiges, Geisthaftes eignet.

Victorine Müller, die mit ihren einzigartigen Performances international berühmt geworden ist, hat ihr Oeuvre kontinuierlich mit Installationen, Videos, Objekten und Arbeiten auf Papier erweitert. Wie ihre Performances sind auch diese Werke Ausdruck feinsinniger Erzählungen über die flüchtige Sicht auf Verborgenes und Unsichtbares. Die Künstlerin vergegenwärtigt eindrücklich die sinnliche Verbundenheit des Menschen mit der Natur und ihren Elementen.

Kathrin Frauenfelder
Zürich, im März 2019

Bilder zur Performance und der Vernissage vom 30. März 2019

  • Performance auf dem Dach
  • Nacht über dem Luftwesen
  • Gargoyle im Warteraum
  • Im Banne des Gargoyle
  • Vue d’ Ensemble